Volkskrankheit, die den Chirurgen beschäftigt
Die Divertikelkrankheit des Dickdarmes ist eine weitere Volkskrankheit, die den Viszeralchirurgen alltäglich und zunehmend beschäftigt. Die vor allem im S-förmigen Dickdarmabschnitt (Colon sigmoideum) entstehenden Schleimhautaustülpungen haben zunächst keinen Krankheitswert – man spricht von Divertikulose. Es kann aber zu Entzündung kommen – sogenannte Divertikulitis oder Sigmadivertikulitis. Diese Entzündung des Divertikel tragenen Darmabschnittes kann ganz unterschiedliche Ausprägung und Verläufe haben. Diese Charakteristika der Erkrankung stellen heute die Basis der Therapie dar.
Prof. von Rahden ist Co-Autor der Divertikulitis Leitlinie der Deutschen Gessellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkankheiten und ist somit bestens mit den aktuellen Standards in Diagnostik und Therapie vertraut.
Ursache
Als ursächlich wird die “Stuhl-Eindick-Funktion” des Dickdarmes angesehen. Zunehmend wird dem Stuhl Wasser entzogen. Schließlich hat er im Endarm (Mastdarm), vor Entleerung über den Anus, die festeste Konsistenz. Im vorgelagerten Darmabschnitt (S-förmiger Darm = Sigma-Darm) entsteht so eine Hochdruckzone. Folglich kommt es durch Ausstülpung von Schleimhaut durch muskelschwache Stellen in der Darmwand zur Ausbildung der Divertikel.
Divertikulose
Als Divertikulose bezeichnet man das Vorliegen von Divertikeln, die per se keine Krankheit darstellt.
Verschiedene Typen Divertikelkrankheit
Kommt es zur Entzündung eines dieser Divertikel, so spricht man von einer Divertikulitis. Dies Divertikulitis kann unterschiedliche Ausprägungen und Krankheitsverläufe haben. Diese werden in der 2011 vorgschlagenen “Classification of Diverticular Disease (CDD)” eingeteilt. Entsprechend dieser Klassifikation werden auch die Therapieentscheidungen leitliniengerecht getroffen.
Asymptomatische Divertikulose (CDD Typ 0)
Divertikel im Dickdarm sind häufig. Wenn sie keine Symptome verursachen, das heißt völlig asymptomatisch sind, hat dies keinen Krankheitswert. Eine Therapie ist nicht indiziert.
Akute unkomplizierte Divertikelkrankheit (CDD Typ I)
Eine unkomplizierte Divertikelkrankheit liegt vor, bei Entzünndung eines oder mehrerer Divertikel, entweder ganz ohne Umgebungdreaktion (Typ IA) oder mit phlegmonöser Entzündung der Darmwand (Typ IB). Die Unterscheidung von Typen mit kleinen Abszessen (Eiteransammlungen) kann schwierig sein. Nach Ausschluß einer komplizierten Divertikulitis (Entzündungslabor, Ultraschall, ggf. CT) erfolgt die Behandlung mit Antibiotika. Nach Abklingen der Entzündung soll leitliniengerecht im entzündungsfreien Intervall eine Dickdarmspiegelung (Coloskopie) erfolgen.
Akute komplizierte Divertikulitis (CDD Typ II)
Bei der komplizierten Divertikulitis liegt ein problematischerer Entzündungsprozess, mit Abszessen (Eiteransammlungen). Entsprechend spricht man vom Typ IIA, wenn kleine Abszesse vorliegen, Typ IIB, bei großem Abszess. Beim Typ IIC ist der Patient in der regel schwerst krank, hat einen akuten operativ behandlungspflichtigen Bauch (“Akutes Abdomen”) und bedarf in der Regel einer Notoperation. Durch die eitrige oder auch kotige Bauchfellentzündung (durch Stuhlaustritt in die Bauchhöhle) entsteht eine Sepsis. Die sofort indizizierte Notfalloperation bedarf der “Sanierung des Fokus” und der ausgiebigen Spülung der Bauchhöhle und Drainagenanlage.
Chronisch rezidivierende Divertikulitis (CDD Typ III)
Es gibt auch verschiedene chronische Formen der Divertikulitis, bei denen die Entzündung aus einer anderen Art von Entzündungszellen besteht. Dieser Erkrankung verläuft dann in der Regel in Schüben rezidivierend (wiederholt auftretend). Diese Form der chronischen Entzündung kann auch zu Komplikationen wie Fistelbildung (zur Blase – mit Stuhlausscheidung beim Wasserlassen) und Stenosen (Engstellen) und Ausbildung eines sog. entzündlichen Konglomerattumors (der ohne OP schwierig vom Darmkrebs zu unterscheiden sein kann).
Die frühere Empfehlung zur OP nach dem 2. Schub ist out!
Früher wurde generell bei dieser Form der Divertikulitis die chirurgische Resektion (Entfernung des betroffenen Darmabschnittes) empfohlen! Rechtfertigung hierfür war der angenommene Übergang in komplizierte Divertikulitis-Formen (Typ II). Heute weiß man – vor allem durch Daten von Jennifer Chapman von der Mayo Clinic/ Rochester/ U.S.A. (Chapman et al., Ann Surg), dass der Typ II meist beim ersten Schub auftritt und ein Typ III eher weiter chronisch rezidivierend verläuft. Heute sind andere Kriterien für die prophylaktische Operation bei Risikopatienten etabliert!
Divertikelblutung (CDD Typ IV)
Sehr problematisch kann die Divertikelblutung sein. Sie tritt normalerweise nicht im Zusammenhang mit einer Divertikelentzündung auf. Ursächlich ist die Blutung aus Gefässen an der Stelle, wo die Divertikel aus der Darmwand abgehen. Für die Therapie stehen zur Verfügung
- Sigmadarm- oder komplette Dickdarmspiegelung (Sigmoidoskopie/ Koloskopie)
- Angigraphie (Darstellung der Blutung mit dem über die Leistengefäße eingebrachten Gefäßkatheter und Verschluss des blutenden Gefässes mit sog. “Coils”)
- Chirurgische Entfernung des blutenden Darmabschnittes (kann problematisch sein, da die axakte Lokalisation der Blutung oft nicht bekannt ist und die Blutung in einem anderen Darmabschnitt wiederauftreten kann)
- Als Ultima Ratio (wenn gar nichts anderes hilft): Kolektomie (Entfernung des gesamten Dickdarmes)
Wird bei der Operation ein künstlicher Darmausgang angelegt?
Eine der wichtigsten Fragen der Patienten ist die nach einem künstlichen Darmausgang (Anus praeternaturalis/ Anus praeter/ AP). Werde ich nach einer operativen Entfernung eines Darmeabschnittes einen AP bekommen?
Hier muss prinzipiell unterschieden werden zwischen
- Dünndarmausgang (Ileostoma) und Dickdarmausgang (Colostoma)
- doppelläufigem vs. endständigen Darmausgang
- passageren vs. permanenten Darmausgang
Bei einer geplanten Entfernung des Sigmadarmes wird normalerweise kein künstlicher Darmausgang angelegt.
Bei komplizierter chirurgischer Resektion/ Erfordernis zur Anlage einer sehr tiefen (nah am Enddarm) Darmnahtverbindung (Wiederanschluss des oberen Darmendes mit dem unteren Darmende) kann es erforderlich sein einen schützenden Dünndarmausgang (protektives Ileostoma) anzulegen. Dieses wird doppelläufig angelegt, so dass eine problemlose Rückverlagerung nach 1 bis 3 Monaten erfolgen kann, ohne erneut in die Bauchhöhle hineinzugehen.
Im Notfall muss – insbesondere bei stuhliger Bauchfellentzündung – von der Rekonstruktion mit Darmnaht (“Anastomosierung”) aus Sicherheitsgründen Abstand genommen werden. Es erfolgt dann die endständige Ausleitung des Absteigenden Dickdarmes als Dickarmausgang (Colostoma) und der Blidverschluß des Enddarmes. Diese Operation heißt Hartmann-Operation. Wann immer möglich, versuchen wir diesen Eingriff zu vermeiden. Prinzipiell ist der Wiederanschluß zu einem späteren Zeitpunkt (nach Überstehen der Akutsituation) möglich. Infolgessen ist aber ein wesentlich aufwändigerer Wiederholungseingriff (Wiederanschlußoperation) erforderlich. Oft bleibt der Hartmann dann die definitive Lösung. Auch muß im Zusammenhang mit der Stoma-Anlage diskutiert werden, dass ein gut funktionierendes Stoma hinsictlich der Lebensqualität besser sein kann, als eine Stuhlinkontinenz. Aus diesem Grunde muss auch stets die Kontinenz geprüft werden, bevor ein Stoma zurückverlagert wird.
Wird die Operation offen (mit Bauschnitt), laparoskopisch oder mit dem OP-Roboter durchgeführt?
Diese Frage muss vor einer elektiven (geplanten) Operation unbedingt diskutiert werden (teilweise wenn möglich auch bei der Notfalloperation). Vielfach ist heute die laparoskopische Operation (Schlüssellochchirurgie) möglich. Einen weiteren Fortschritt stellt die Roboter-assisitierte Operation dar. Zwar sind messbare Vorteile bislang nicht belegt. Der eigenen Eindruck zeigt aber, dass die Operation im Sitzen, von der Roboter-Konsole aus, dem Chirurgen ein wesentlich ermüdungsfreieres Arbeiten ermöglicht. Dies könnte sich bei höherer Fallzahl als geringer Umstiegsrate zur offenen Operation bemerkbar machen.
Aktuell wurden an der Universitätsklinik für Chirurgie der SALK bereits > 70 Dickdarmoperationen mit dem DaVinci-Operationsroboter durchgeführt (Stand: Februar 2019).
Literatur/ Referenz
Prof. von Rahden hat als Experte / Spezialist für die Divertikelkrankheit an der Erstellung der Leitlinie für die Divertikelkrankheit mitgewirkt:
- Leifeld L, Germer CT, Böhm S, Dumoulin FL, Häuser W, Kreis M, Labenz J, Lembcke B, Post S, Reinshagen M, Ritz JP, Sauerbruch T, Wedel T, von Rahden BHA, Kruis W (2014) S2k-Leitlinie Divertikelkrankheit/Divertikulitis. Z Gastroenterol 52:663-710. doi: 10.1055/s-0034-1366692 [PubMed] [Publikation zum Download]
- Chapman JR, Dozois EJ, Wolff BG, Gullerud RE, Larson DR. Diverticulitis: a progressive disease? Do multiple recurrences predict less favorable outcomes? Ann Surg. 2006 Jun;243(6):876-830; discussion 880-3. [PubMed]
- Chapman J, Davies M, Wolff B, Dozois E, Tessier D, Harrington J, Larson D. Complicated diverticulitis: is it time to rethink the rules? Ann Surg. 2005 Oct;242(4):576-81; discussion 581-3. [PubMed]