Kleiner Befund, großes Problem
Als Analfissur wird ein Einriss der Schleimhaut am After bezeichnet, der meist sehr schmerzhaft ist. Typische Lokalisation ist die sog. “6Uhr Position in Steinschnittlage”, also die Stelle des Anus, die am weitesten nach hinten zum Steißbein gerichtet ist.
Ganz typisch ist bei der Analfissur, dass der Arzt den Patienten oft nicht mit dem Finger untersuchen kann. Die Schmerzsymptomatik ist zu heftig, als dass eine Austastung tolerierbar wäre. Der Arzt darf diese Maßnahme (obwohl sie natürlich wichtig ist) in der Akutphase einer Analfissur auch nicht erzwingen und sollte zunächst versuchen die Fissur zur Abheilung zu bringen
Meistens ist vor einer Analfissur ein Hautläppchen lokalisiert, welche als Vorpostenfalte oder mit Fachwort Mariske bezeichnet wird
Ursache einer Analfissur ist meist ein zu stark kontrahierender Schließmuskel
Meistens ist die Ursache einer Analfissur ein zu stark kontrahierenden Schließmuskel. Dieses Verständnis ist wichig für die Therapie. Es gilt den zu kräftigen Schließmuskel zu schwächen, sei es medikamentös oder durch eine OP.
Teufelskreis bei der Analfissur
Oft entsteht durch den zu stark kontrahierenden Schließmuskel ein Teufelskreis: Wegen des Schleimhauteinrisses (Fissur) verhält sich der Patient den Stuhlgang. Der Stuhl wird im Enddarm immer weiter eingedickt, bis er sehr hart ist. Wenn der Patient diesen harten Stuhlgang dann doch irgendwann herausgepresst, muss er zunächst den zu stark kontrahierende Schließmuskel überwinden. Hierdurch kann der Einriss wiederum vergrößert werden.
Was muss bei der Analfissur ausgeschlossen werden?
Am wichtigsten ist es natürlich immer eine bösartige Erkrankung auszuschließen, die eine Analfissur “imitieren” kann. Das kann bei einem Analkanalkarzinom oder Analrandkarzinom der Fall sein, oder auch bei einem Karzinom des Enddarmes (Rektumkarzinom), bei besonders tiefem Sitz oberhalb des Anus.
Aus diesen Gründen ist es sehr wichtig, dass sowohl
- bei der Erstdiagnostik der genaue proktologische Befund von einem erfahren Untersucher erhoben wird
- im Verlauf – nach Ausheilung der Fissur oder zumindest Besserung der Symptomatik – und trotzdem möglichst zeitnah – eine endoskopische Untersuchung des Enddarmes (Rektoskopie/ Sigmoidoskopie) durchgeführt wird.
Im Zweifel müssen Proben für eine feingewebliche Untersuchung entnommen werden, um Gewebeveränderungen ausschließen zu können.
Auch andere proktologische Erkrankungen, das heißt Krankheiten von Enddarm und Anus, müssen differentialdiagnostisch in Betracht gezogen werden, wie zum Beispiel
- Hämorrhoiden
- Perianalvenenthrombose
- Marisken (‘Vorpostenfalten’)
- Perianalabszess
- Perianales Ekzem
- etc. etc. etc.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind das immunsystem-schwächende Erkrankungen, die – besonders für atypische – Fissuren prädisponieren können (HIV, Bösartige Systemerkrankungen). Solche atypischen Fissuren sind oft nicht in der typischen 6Uhr Position.
Therapie
Grundprinzip der Therapie der Analfissur ist immer die Schwächung des zu stark kontrahierenden Schließmuskels. Allerdings muss man hierbei aufpassen, dass der Schließmuskel nicht zu stark geschwächt wird, so dass die Kontinenzfunktion geschwächt würde.
Akute Analfissur
Bei der akuten Analfissur wird man immer zunächst eine konservative, medikamentöse Therapie durchführen. Zur Anwendung kommen Substanzen, die den Tonus des Analsphinkters senken:
- Nitro-Salbe (Nachteil: Kopfschmerzen als Nebenwirkung)
- Diltiazem-Salbe
Weiter können lokal betäubende Präparationen (z.B. Anästhesin-Salbe) zur Anwendung kommen
Ggf. kann auch die Verordnung von Analdehnern sinnvoll sein.
Chronische Analfissur
Bei der chronischen Analfissur kann es erforderlich sein eine
- Exploration (Untersuchung) in Narkose
- Ausschneidung der Fissur
- Einkerbung des Schließmuskels (so. Sphinkterotomie)
durchzuführen.
Die Ausschneidung ist wichtig, um ein Präparat für die feingewebliche Untersuchung zu gewinnen, um eine andere zugrundeliegende Ursache auszuschließen.
Das Risiko für Inkontinenz ist nicht sehr hoch, allerdings auch nicht gleich Null. Der Patient muss stets darüber aufgeklärt werden, dass eine Schwächung der Kontinenzfunktion als Folge einer Sphinkterotomie auftreten kann.
Datenlage zur medikamentösen Therapie in Studien
Die medikamentöse Therapie der Analfissur ist in einer großen, regelmässig aktualisierten Meta-Analyse der Cochrane Collaboration untersucht (Nelson et al., 2012).
Eingeschlossen wurden in diese Analyse die Ergebnisse aus insgesamt 75 randomisierten Studien (RCTs), mit insgesamt 5031 Patienten. Diese waren in den Studien bei Analfissur mit einer wirksamen Salbe, im Vergleich zu einer Placebo-Salbe (Scheinpräparat, ohne Wirkstoff) untersucht worden.
Es zeigte sich, dass die Heilung der Analfissur mit dem Wirkstoff zwar besser war, als mit dem Placebo-Präparat (48,9% versus 35,5%). Allerdings kam die Wirkung der medikamentösen Therapie bei weitem nicht an die Erfolgsrate der operativen Therapie heran. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass es in etwas über 1/3 der Fälle (zumindest kurzfristig) zur Spontanheilung kommen kann.
Fazit: Eine OP kann bei der Analfissur unumgänglich sein, um den Patienten von den Beschwerden zu befreien. Trotzdem sollte zunächst die medikamentöse Therapie versucht werden.
Datenlage zur operativen Therapie
Auch die operative Therapie bei der Analfissur ist mehrfach in systematischen Übersichtsarbeiten/ Meta-Analysen untersucht worden. Die aktuellste stammt aus 2017 (Nelson et al., 2017, Tech Coloproctol).
Eingschlossen wurden in die Arbeit 148 Studien. Aus 31 Studien rekrutierten sich die Patienten der chirurgischen Therapie-Gruppe. Aus 117 Studien die Patienten der medikamentösen Therapie-Gruppe.
Hierbei wurden auch verschiedene chirurgische Techniken (insgesamt 14 OP-Verfahren) und 29 verschiedene nicht-operative Therapien berücksichtigt.
Es wurden in der Studie ganz verschiedene Gruppen miteinander verglichen. Allerdings war die Qualität der Datenlage nicht für alle Gruppen gut.
Die beste Aussage mit der qualitativ hochwertigsten Evidenzlage lieferte der Vergleich zwischen der sogenannten “teilweisen seitlichen inneren Schließmuskelspaltung” und jedweder Form der medikamentösen Therapie. Bei 92,5% der 1241 Patienten mit operativer Therapie wurde Heilung der Analfissur erzielt, während dies in der medikamentösen Gruppe nur bei 60,3% der 1290 Patienten in der medikamentösen Gruppe gelungen war.
Eine milde Form der Inkontinenz (Stuhlhalteschwäche) ereignete sich bei 0,3% der Patienten mit medikamentöser Therapie und 1,4% nach Operation.
Fazit: Wenn eine Analfissur nicht ausheilt, kann man mit einer Operation helfen. Diese ist Therapie ist sehr effektiv. Die Nebenwirkungen sind gering.
Historie der operativen Therapie der Analfissur
Erst 1951 wurde durch einen Chirurgen namens Eisenhammer die OP-Methode der partiellen Schließmuskelspaltung zur Behandlung der Analfissur in die klinische Praxis eingeführt. Die Auswertung seiner Patientenserien ergab keinerlei Stuhlentleerungsprobleme nach diesem Eingriff.
Dies war der Durchbruch für diese OP-Methode und sie wurde von Chirurgen auf der ganzen Welt angenommen und von nun an durchgeführt.
In einer 1985 veröffentlichten Studie wurde über 306 Patienten berichtet, von denen 15 Patienten (5%) über eine milde Inkontinenz für das Halten von Flatus, 1 Jahr nach Sphinkterotomie, klagten (Walker et al., 1985, Dis Colon Rectum).
Im Jahr 1989 wendete sich allerdings dann die Sichtweise auf dieses OP-Verfahren. Das ehemals als völlig harmlos und ohne Nebenwirkungen angesehen Verfahren wurde kritisch beleuchtet: Khubchandani et al. (1989) publizierten eine große Serie mit Sphinkterotomie behandelter Patienten, mit einer Rate von Inkontinenz vom 36% für Flatus und 5% für festen Stuhl. Auch eine Arbeit von Garcia-Aguilar et al (1996) zeigte im längerfristigen Verlauf ihrer initial sehr guten Daten eine Inkontinenzrate von 30,3% für Flatus und 11,8% für festen Stuhl.
Diese Ergebnisse legten nahe, dass man enthusiastisch über das neue hochwirksame Verfahren wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen war. Das wiederum beflügelte die Suche nach medikamentösen Therapieoptionen.
Letzlich wurden die oben dargelegten differenzierten Therapiekonzepte entwickelt, wie sie heute in der klinischen Praxis angewendet werden.
Die weitere Entwicklung der Datenlage in den letzten Jahren hat gezeigt, dass durch zunehmende jahrelange Erfahurng mit der Schließmuskelspaltung das operative Vorgehen subtiler geworden ist. Mit einer sehr sparsamen Schießmuskelspaltung können die guten Ergebnisse hinsichtlich Heilung der Fissur und gleichzeitig er Erhalt einer normalen Kontinenzfunktion erzielt werden, bei hoher Patientenzufriedenheit und Komfort für die Patienten.
Literatur
- Nelson RL, Manuel D, Gumienny C, Spencer B, Patel K, Schmitt K, Castillo D, Bravo A, Yeboah-Sampong A. A systematic review and meta-analysis of the treatment of anal fissure. Tech Coloproctol. 2017 Aug;21(8):605-625. doi: 10.1007/s10151-017-1664-2. [PubMed]
- Nelson RL, Thomas K, Morgan J, Jones A. Non surgical therapy for anal fissure. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Feb 15;(2):CD003431. doi: 10.1002/14651858.CD003431.pub3. [PubMed]
- Eisenhammer S. The surgical correction of chronic internal anal (sphincteric) contracture. S Afr Med J 25, 486–489, 1951
- Walker WA, Rothenberger DA, Goldberg SM.Morbidity of internal sphincterotomy for anal fissure and stenosis. Dis Colon Rectum. 1985 Nov;28(11):832-5. doi: 10.1007/bf02555487. [PubMed]
- Khubchandani IT, Reed JF. Sequelae of internal sphincterotomy for chronic fissure in ano. Br J Surg. 1989 May;76(5):431-4. doi: 10.1002/bjs.1800760504. [PubMed]
- Garcia-Aguilar J , Belmonte C, Wong WD, Lowry AC, Madoff RD. Open vs. Closed Sphincterotomy for Chronic Anal Fissure: Long-Term Results. Dis Colon Rectum. 1996 Apr;39(4):440-3. doi: 10.1007/bf02054061. [PubMed]